Abseits vom Trubel der deutschen Hauptstadt liegt das Literaturhotel Friedenau. Benannt nach einem Ortsteil von Berlin-Schöneberg, der Künstler seit jeher anzog, hat das Haus den Charme vergangener Tage – und jede Menge Stammbesucher. Ein Ortstermin zum Tee.
Die Blätter zeugen schon vom vergehenden Sommer, als ich eines Morgens in der Fregestraße stehe, um das kleine Hotel zu besuchen, das Christa Moog 2003 eröffnete. Sie hatte jede Menge Ideen und noch viel mehr Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Kopf, als sie das Haus einst entdeckte. Sie fühlte sich wohl in diesem Friedenau, das seit jeher Dichter und Denker anzog.
„Gerade habe ich so viele Buchungen wie selten“, sagt sie und serviert Gebäck und Earl Grey-Tee. Moog bewirtschaftet das Haus zusammen mit drei Kolleginnen und Kollegen. 40 Emails warten an diesem Morgen noch darauf, abgearbeitet zu werden. „Meine junge Kollegin, die mir hier eine große Unterstützung ist, war auf der Pariser Fashion Week und ist noch ganz erschöpft, darum bin ich gerade allein“, sagt Moog und eilt davon, um einen Gast zu begrüßen. Stammgäste sind es, die heute das Überleben des Hauses sichern.
Im Uwe-Johnson-Salon, wie Moog den Hauptsaal des Literaturhotels nennt, sind ein paar französische Gäste in ein Gespräch über Genderthemen vertieft. Der Namensgeber des Raums, Autor Uwe Johnson (u.a. „Mutmaßungen über Jakob“, „Jahrestage“), wohnte regelmäßig im Hotel. Auch Günter Grass, Kurt Tucholsky, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch oder Erich Kästner lebten schon in Friedenau.
Fisch und gedünstetes Gemüse für Swetlana Alexijewitsch
Moog, selbst eine gebürtige Ostdeutsche, die die Teilung des Landes wie so viele Literaten selbst erlebte, schwärmt davon. „Allein drei Literaturnobelpreisträger gab es hier; manche Großstadt hat keinen.“ Es sind Günter Grass, Herta Müller und die belarussische Autorin Swetlana Alexijewitsch aus Minsk. Sie lebte einst in der Nachbarstraße, zog dann regelmäßig für mehrere Wochen ins Literaturhotel. „Ich habe ihr oft Fisch und gedünstetes Gemüse gekocht“, erzählt die Hausherrin. Auch Herta Müller, die den Literaturnobelpreis 2009 erhielt, war dem Viertel treu. „Sie ist ein Mensch, fasziniert von Papier“, erzählt Christa Moog. „Sie fertigt auch Collagen aus alten Magazinen.“
Wir gehen in den verwunschenen Garten hinter dem Hotel. Still und herbstlich ist es hier, Hotelkatze Mary schleicht auf der Suche nach den letzten Sonnenstrahlen durch das Gebüsch. Tische und Stühle stehen verwaist, warten auf den nächsten Frühling.
Seit Anfang 2000 waren immer wieder bekannte Autoren zu Lesungen im Literaturhotel Friedenau, unter ihnen Christa Wolf, Christoph Meckel oder Judith Hermann. Einige der Stammgäste zeichnen, das wird beim Blättern durch das Gästebuch des Hauses faszinierend deutlich.
Unter den Stammgästen ist Axel Reichardt, der gern mit Skizzenbuch in der Stadt unterwegs ist. Der gelernte Buchhändler, Sänger und Künstler ist ein gebürtiger Berliner. Er lebt heute in Heidelberg.
Bühnenbildner und Schriftkünstler Helmut Brade, ein gelernter Graphiker aus Halle, hat für das Literaturhotel Friedenau drei literarische Motive kalligraphisch aufbereitet. Christa Moog überlässt die Postkarten Gästen, die gern Grüße versenden. Noch ganz stilecht: per Post.
Weitere Informationen:
Literaturhotel Friedenau, Fregestr. 68, Berlin
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