Ralf Nestmeyer ist Reisejournalist und Autor. Er weiß, an welchen Orten und in welchen Hotels Schriftsteller sich gern aufhielten. Ist er selbst auf Recherchereisen unterwegs, schätzt er einen schönen Ausblick aus dem Hotelzimmer. Einer seiner Lieblingsorte ist Paris – auch wegen seiner inspirierenden Orte für Künstler und Literaten
Herr Nestmeyer, als Reisejournalist und Autor sind Sie weltweit unterwegs. Verraten Sie uns, wo Sie zuletzt waren?
Erst Ende März bin ich in Paris gewesen, um für die neue Auflage meines Paris-Reiseführers zu recherchieren. Er erscheint im Januar 2019 im Michael Müller Verlag. Gewohnt habe ich im „Mama Shelter“, einem von Philippe Starck eingerichteten Designhotel im Pariser Osten. Es liegt unweit des Friedhofs Père Lachaise, wo Balzac, Proust, Molière, Paul Éluard, Raymond Roussel und Oscar Wilde ihre letzte Ruhestätte fanden.
Warum fiel Ihre Wahl auf dieses Hotel?
Es besitzt einen urbanen Touch, der zu einer Großstadt passt. Zudem ist das Preis-Leistungs-Verhältnis für Paris ausgezeichnet, und die hippen Bars und Restaurants der Rue Oberkampf sind bequem zu Fuss zu erreichen.
„Jeder Reisende hat eine eigene Hotelbiographie“, schreiben Sie in Hotelwelten. Welche ist Ihre? Welche Hotels inspirieren Sie?
Da gibt es ein breites Spektrum. Ich verbringe ja fast drei Monate im Jahr in „fremden Betten“. Es gibt Hotels, die sind so lieblos, das man sie schon am nächsten Tag wieder vergessen hat. Andere haben sich tief in das Gedächtnis eingebrannt. Manche Hotels haben auch eine unvergleichliche Atmosphäre. Spontan fallen mir „Schloss Elmau“ und das „Vigilius Mountain Resort“ in Südtirol in der gehobenen Kategorie ein, aber auch das Hotel „Résidence du Vieux Port“ in Marseille. Sein Hafenblick ersetzt jedes Kino.
Nach welchen Kriterien wählen Sie ein Hotel(zimmer), damit es Sie auch als Schreibender zufriedenstellt?
Obwohl ich mit dem Laptop arbeite, ist mir ein Schreibtisch wichtig. Im Bett liegend zu schreiben, ist unbequem und stockt den Gedankenfluss. Leider gibt es inzwischen viele moderne Hotels, die einen Tisch als überflüssiges Accessoire erachten. Zudem bevorzuge ich ein Zimmer mit einer weiten Aussicht, auf Meer oder über Hügel. In einer Stadt kann es aber auch der Blick von oben auf eine belebte Straße sein, der mir gefällt. Wenn man vom Hotelzimmer nur eine Brandschutzmauer oder einen tristen Hinterhof sieht, wirkt sich dies nicht nur auf den Schreibprozess lähmend aus.
Goethe, Ernest Hemingway, Cees Noteboom – sie schätz(t)en Hotels auch für Ihre Arbeit. Gibt es etwas, das Sie besonders interessant fanden, als Sie sich für Ihr Buch Hotelwelten um dieses Thema kümmerten?
Mehrere Dinge, zum Beispiel das Thema „Zuflucht Hotel“. Damit meine ich das Hotel als Ort des Exils, so im Fall von Stefan Zweig, Klaus Mann oder Anna Seghers. Dann das Grandhotel als soziokultureller Mikrokosmos. Zuletzt interessierte ich mich als passionierter Schwimmer auch für den „Hotelpool“, dessen Blau nicht nur Entspannung und Spaß verspricht, sondern auch Dekadenz und Laszivität verströmt.
Sind Reiseaufzeichnungen und Reisetagebücher Ihrer Erfahrung nach heute noch ein Thema?
Nein, auf alle Fälle nicht mehr im klassischen Sinn. Doch es gibt auch moderne „Reisetagebücher“. Heute werden Bilder auf Instagram gepostet und Erfahrungen fließen in Reise-Blogs ein.
Kommt es vor, dass Sie selbst längere Schreibphasen im Hotel verrichten? Welche Schreibutensilien haben Sie bei sich, wenn Sie unterwegs sind?
Ich bin noch nie für zwei Wochen in ein Hotel gezogen, um mich einem Buchprojekt zu widmen. In Hotels schreibe ich meistens auf Recherchereisen, nach dem Abendessen bis in die Nacht hinein. Mein wichtigstes „Schreibutensil“ auf Reisen ist mein MacBook Air. Ergänzend kommt noch ein digitales Diktiergerät hinzu. Handschriftliche Notizen mache ich nur selten.
Alleinreisende, Paare, reisende Freunde, Geschäftsreisende – sind Hotels auch heute noch Orte der Selbstfindung?
Sicherlich. Die Hotelatmosphäre ist anonym, man fühlt sich unbeobachtet, frei. In ein Hotelzimmer kann man sich zurückziehen, in Klausur gehen. Allerdings denke ich, dies ist nur alleine möglich. Für ein verliebtes Pärchen mag ein Hotelzimmer auch inspirierend sein, aber eher in anderer Hinsicht…
Sind Sie schon mal Schreibenden begegnet, wenn Sie reisten?
Leider nur selten. Alexander Kluge ist mir einmal auf dem Hotelflur entgegengekommen.
Autoren, Musiker, Schauspieler leben und arbeiten oft jahrelang in Hotels. Joseph Roth gehörte dazu oder heute Cees Noteboom. Ist das heute noch gängig?
Sieht man mal von Udo Lindenberg ab, so sind die Zeiten, in denen Künstler jahrelang in einem Hotel leben, wohl vorbei. Das hat vor allem auch finanzielle Gründe: Jean-Paul Sartre oder Simone de Beauvoir konnten sich von einem Lehrergehalt noch zwei Hotelzimmer in Paris leisten. Heute muss man dafür ein Bestsellerautor sein.
Apropos Paris. Ihr Tipp für weitere schöne und stille Orte in Paris – auch für Künstler?
Literaturliebhaber sollten natürlich unbedingt nach Saint-Germain in die legendären Cafés „Café de Flore“ und „Les Deux Magots“. Bis 2015 gab es ganz in der Nähe das „Musée des Lettres et Manuscrits„, ein Handschriftenmuseum, am Boulevard Saint-Germain. Die Strasse der Literaten war der richtige Ort für die Aura handschriftlicher Originaldokumente wie Briefe von Marcel Proust, Victor Hugo und Charles Baudelaire.
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