2019, Kerstin in der Wüste Sinai. Credits: Dr. Kerstin Gernig

Zeitgeist | Kreativ und gelassen durch die Krise: 5 Fragen an Coach Dr. Kerstin Gernig

Mit Freunden ausgehen, Reisen, Events: Viel Schönes ist gerade gestrichen. Das Virus Covid-19 hebt den Alltag aus den Angeln. Wir setzen alles daran, gesund zu bleiben. Wie aber bleiben wir zuversichtlich, wie kreativ? Kerstin Gernig, Business Coach, Speaker und Autorin, ist krisenerprobt. Hier ihr Rat.

Kerstin Gernig nach einem Vortrag 2018. Credits: Dr. Kerstin Gernig
Meine Gesprächspartnerin nach einem Vortrag 2018. Credits: Dr. Kerstin Gernig

Kerstin, du hast selbst schon die eine oder andere Lebenskrise gestemmt. Was rätst du Kreativen, um trotz Sorge produktiv zu sein?

Wenn man Sorgen hat, gilt es, sich zuerst mit den Sorgen zu beschäftigen. Sorgen haben Vorrang vor Produktivität. Denn man kann mit Sorgen kaum produktiv sein. Dale Carneggie hat einen Bestseller mit dem Titel Sorge dich nicht, lebe geschrieben. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan. Deshalb rate ich meinen Coachingklienten, ihre Sorgen und Ängste zunächst einmal ganz konkret zu formulieren und am besten auch aufzuschreiben. Wer seine Sorgen formulieren kann, kann sich ihnen auch stellen und sich fragen, was er tun kann, um sie aufzulösen.

Credits: Danielle Macinnes, Unsplash
Kreativ sein beginnt mit dem ersten Schritt. Credits: Danielle Macinnes, Unsplash

Die Sorge als solche ist nicht produktiv. Deshalb kann man sich fragen:

  1. Was genau macht mir Sorgen?
  2. Wie realistisch sind meine Sorgen? Das heißt, wie wahrscheinlich ist es auf einer Skala von 1 bis 10, dass das, worüber ich mir Sorgen mache, auch tatsächlich eintritt?
  3. Was kann im „worst case“ geschehen?
  4. Was kann ich tun, um den „worst case“ zu vermeiden?

Diese Fragen helfen schon einmal weiter, um sich der Situation zu stellen.

Zur Verlangsamung der Virus-Verbreitung halten wir uns jetzt zuhause auf. Viele arbeiten im Home Office. Wie können sich Menschen in dieser Auszeit inspirieren lassen?

Ich mag den Begriff Inspiration sehr gern. Mein Newsletter heißt sogar „Inspirationen“. Menschen, die in guter Resonanz mit sich und dem Universum sind, sind inspiriert. Inspirationen entstehen aus Offenheit, Neugier, Raum zum Empfangen und Entwickeln von Ideen. Ich selbst lasse mich von zahllosen Dingen inspirieren, einfach weil ich extrem „open minded“ und „neugierig“ und offen für Neues bin. Es gilt, sich diese Offenheit zu bewahren. Für mich ist nichts schlimmer als Menschen, die ständig sagen „Ich weiß.“ Wer das sagt, hört nicht mehr offen und neugierig zu.

Wir lernen aber vom ersten bis zum letzten Atemzug täglich Neues, sofern wir uns darauf einlassen. Und in meinen Augen gilt es, sich genau diese Wissbegierde und Freude am Lernen ein Leben lang zu bewahren.

Credits: Thought Catalog, Unsplash
Credits: Thought Catalog, Unsplash

Als Autorin sind dir Schreibprozesse vertraut. Papier als Quell der Lebensfreude: Was kann das weiße Blatt in diesen Zeiten für jeden sein?

Ich habe in der Tat Papier schon immer geliebt. Papierwarengeschäfte, schöne Papiere vom Briefpapier über Notizbücher bis zum Einwickelpapier faszinieren mich. Ich mag die Haptik, die Farben und Materialien und das Naturverbundene.

Papier war einmal Holz und wurde anschließend so fein bearbeitet, dass es eine ästhetische und sinnliche Freude sein kann.

Dr. Kerstin Gernig

Insofern ist Papier tatsächlich ein Quell der Lebensfreude, sowohl unbeschrieben als auch beschrieben. Das weiße Blatt ist eine Einladung. Das weiße Blatt ist wie die Stille, die Pause zwischen zwei Tönen, zwei Worten, zwei Sätzen, zwei Menschen, bevor sie in den Dialog treten. Das weiße Blatt ist die Einladung, es zu füllen, mit den eigenen Gedanken. Alles, was auf dieser Welt entsteht, entsteht zwei Mal, erst in unseren Gedanken und dann in der Wirklichkeit. In der Bibel heißt es: Am Anfang war das Wort. Und das Wort war die Kraft.

Credits: Reza Shayes, Unsplash
Credits: Reza Shayes, Unsplash

In dem Moment, in dem wir unsere Gedanken aufschreiben, bekommen sie eine andere Wirklichkeit. Sie werden materialisiert, sie werden mitteilbar und sie werden vor allem konkret. Und diese Konkretisierung ist für den Schritt vom Gedanken zur Umsetzung ganz wichtig.

Was wir denken, können wir auch tun, auch wenn das Denken oft schneller geht als die Umsetzung im Tun.

Welches kreative Ritual kann uns helfen, Ruhe und Freude in der Stille zu finden?

In die Ruhe und Stille zu gehen, ist schon das kreative Ritual. Alles, was entsteht, entsteht aus der Stille. Ich war im letzten Jahr zwei Wochen in der Wüste, um zu schweigen und zu schreiben. Woher kommen unsere Gedanken? Sie kommen als Inspirationen, weil wir in Resonanz mit den Informationsfeldern sind. Sie entstehen im Austausch mit einem Gegenüber. Deshalb gibt es ja die magische Formel 1+1=3. Was im Austausch mit einem Gegenüber entsteht, entsteht eben nur im Austausch.

2019, Kerstin in der Wüste Sinai. Credits: Dr. Kerstin Gernig
2019, Kerstin in der Wüste Sinai. Credits: Dr. Kerstin Gernig

Was ist dein besonderer Bezug zum Papier?

Ich liebe Papier, bedruckt und unbedruckt. Ich habe Literaturwissenschaft und Philosophie studiert und zahllose Bücher gelesen und auch selbst geschrieben und alte Handschriften aus dem 18. Jahrhundert in der Bibliothèque Mazarine und der Bibliothèque Nationale in Paris studiert.

Allerdings schreibe ich selbst schon seit vielen Jahren nicht mehr mit der Hand. Nur im Urlaub habe ich immer noch ein Notizbuch dabei, um auch mit der Hand schreiben zu können, wenn ich weder Strom noch WLan habe. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich Kunst studieren. Ich habe eine Mappe für die Hochschule der Künste angefertigt. Diese Mappe bestand aus lauter Papieren mit Collagen, Porträts, Landschaftsmalerei und Stillleben. Diese Leidenschaft zum Papier hat mich mein Leben lang nicht losgelassen. Im letzten Jahre habe ich all meine Collagen – aus Papier und auf Papier – von einer Reprofotografin digitalisieren lassen und plane, damit eine Ausstellung zu machen. Zu den Collagen hat mich das bedruckte Papier gebracht: Ich habe einen Stapel ausrangierter ZEIT-Magazine geschenkt bekommen und hatte das Bedürfnis oder auch die Inspiration, aus den wundervollen Fotos etwas Neues zu gestalten. Einige der Resultate sind auf meiner Pinterestwand zu sehen.

Danke für deine Hinweise und diesen Einblick, liebe Kerstin!

Collage. Credits: Dr. Kerstin Gernig
Eine von zahlreichen anregenden Collagen von Kerstin Gernig. Credits: Dr. Kerstin Gernig

Dr. Kerstin Gernig berät als Coach für Neuanfänge in Berlin unter anderem Menschen in der Lebensmitte, die sich neu orientieren wollen. 2017 erschien ihr Buch Werde, was du kannst! Wie man ein ungewöhnlicher Unternehmer wird.

Credits: Dr. Kerstin Gernig
Credits: Dr. Kerstin Gernig

Noch mehr Anregungen für Beschäftigung mit Schreiben und Papier:

  • Schreiben Sie Ihr eigenes Tagebuch dieser besonderen Zeit. Notieren Sie, was Sie erleben, was Sie freut, was Sie bedrückt, was unvergesslich ist. Werden Sie zum Zeitzeugen für sich selbst.
  • Machen Sie es wie Kerstin Gernig: Fertigen Sie eine Collage aus alten Zeitungen, Magazinen oder anderen Dokumenten dieser Zeit an.
  • Schreiben Sie einen Brief an Ihre Lieben! Greifen Sie zu Füller, Karten oder Briefpapier, vermitteln Sie Herzensbotschaften und die Erlebnisse dieser Zeit.
  • Lassen Sie den Frühling einziehen – auch auf Papier!

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