Erstausgabe von "The Picture of Dorian Gray". Copyright: Christie's, Photographer: Juan Cruz Ibanez

Zeitgeist | Oscar Wilde: Christie’s versteigert Erstausgabe von „The Picture of Dorian Gray“ in Paris

Liebhaber literarischer Klassiker hatten glänzende Augen: Das Auktionshaus Christie’s versteigerte am 7. Oktober 2019 in Paris eine signierte Erstausgabe von Oscar Wildes einzigem Roman, Das Bildnis des Dorian Gray. Alice Chevrier, Expertin für seltene Bücher und Manuskripte bei Christie’s, bereitete die Auktion vor. Zeitlos spannend!

Alice Chevrier mit der Erstausgabe von "The Picture of Dorian Gray". Credits: Christie's, Photographer: Juan Cruz Ibanez
Alice Chevrier mit der Erstausgabe von „The Picture of Dorian Gray“. Credits: Christie’s, Photographer: Juan Cruz Ibanez

Es ist Herbst. In Paris raschelt das Herbstlaub zu ihren Füßen, wenn Alice Chevrier morgens auf dem Weg in die avenue Matignon ist. Hier, im 8. Arrondissement zwischen der Champs Elysées und der Rue du Faubourg Saine-Honoré, liegt ihr Büro im Auktionshaus Christie’s. Genauer: in der Abteilung Books and Manuscripts. Christie’s ist weltbekannt für seine Auktionen von wertvoller Kunst und Antiquitäten. Hier in der Avenue matignon kamen am 7. Oktober 2019 seltene Bücher und Manuskripte unter den Hammer. Darunter: einzigartige Schätze der Literatur, etwa 16 handgeschriebene Briefe von Marcel Proust und eine Erstausgabe von Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray. Die Schätzung für den Preis, den diese Edition erzielen würde, lag bei 30.000 bis 40.000 Euro.

„Given to Pierre Louÿs by his friend Oscar Wilde in London in June“

Die Nummer 74 von 250 Erstausgaben hatte Wilde im Jahr 1891 handsigniert und einem Freund gewidmet, Pierre Louÿs (1870-1925). Auf diese Weise dankte Wilde Louÿs dafür, das Manuskript zum Buch vor der Veröffentlichung durchgesehen zu haben. Die Männer hatten sich 1891 durch einen gemeinsamen Freund, Stuart Merrill, kennengelernt. Die Freundschaft zwischen Oscar Wilde und Pierre Louÿs war kurz, fruchtbar und spannungsreich, wie Alice Chevrier mir verriet.

Widmung in der Erstausgabe von "The Picture of Dorian Gray". Copyright: Christie's, Photographer: Juan Cruz Ibanez
Widmung in der Erstausgabe von „The Picture of Dorian Gray“. Credits: Christie’s, Photographer: Juan Cruz Ibanez

In den Tagen vor der Auktion am Montag, 7. Oktober, herrschte in der Abteilung „Books and Manuscripts“ geschäftiges Treiben. Alice Chevrier nahm sich trotzdem Zeit, mir einige Fragen rund um das seltene Buch zu beantworten.

Alice, welche Rolle spielen Sie bei der Auktion am kommenden Montag, wenn Ihr Haus, Christie’s, diese besondere Erstausgabe von Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray auf den Markt bringt?

Ich habe mich intensiv den Nachforschungen rund um das Buch gewidmet, die Beziehung zwischen Oscar Wilde and Pierre Louÿs erforscht und mich mit der Bedeutung des Dorian Gray innerhalb von Wildes Gesamtwerk beschäftigt. Da das Buch eine luxuriös gestaltete Erstausgabe ist, recherchierte ich auch die Herkunft und Informationen rund um das Design des Umschlags. Die goldfarbenen Motive stammen vom Künstler Charles Ricketts. Angaben wie diese gab ich auch an die Fotografen weiter. Dann schrieb ich den Katalogtext zur Auktion. Meine Aufgabe währenddessen ist übrigens aufregend: Ich werde am Telefon mit Kunden sprechen und Gebote für die Bücher und Manuskripte entgegennehmen, die am Montag versteigert werden. Die Gebote gebe ich an den Auktionator weiter. Vielleicht habe ich ja den künftigen Besitzer des Wilde-Werkes in der Leitung. Ich hoffe darauf!

Wie erfuhren Sie bei Christie’s von der Existenz dieses Buches? Bestand ein Kontakt zur Familie von Pierre Louÿs?

Der Besitzer dieses Buches hat Kontakt zu uns aufgenommen.  Zur Herkunft des Buches darf ich aus Vertraulichkeitsgründen leider nicht mehr verraten.

Und wie wurde diese Ausgabe zu Ihrem Projekt bei Christie’s?

Ich bin „Cataloguer“, das heißt, ich bereite die Waren für die bevorstehenden Verkauf über unsere Auktionen vor. Im Team „Books and Manuscripts“ sind wir  drei Spezialisten. Die Katalogisierung der Waren teilen wir uns auf und versuchen dabei, gleichwertig zum Zuge zu kommen. Jeder von uns hat bestimmte Vorlieben.

Erstausgabe von "The Picture of Dorian Gray". Copyright: Christie's, Photographer: Juan Cruz Ibanez
Erstausgabe von „The Picture of Dorian Gray“, gestaltet von Charles Ricketts. Credits: Christie’s, Photographer: Juan Cruz Ibanez

Wildes Widmung ist auch ein Verweis auf die Tragik in seinem Privatleben. Seine Homosexualität wurde ihm in der damaligen Zeit zum Verhängnis. Das gilt auch für die Freundschaft zu Pierre Louÿs, die nur zwei Jahre später bröckelte. Wie gelang es Ihnen, mehr über die beiden herauszufinden?

Das war ziemlich schwierig. Die beiden Autoren Wilde und Louÿs waren nur wenige Jahre vor Wildes Tod befreundet. Deshalb habe ich meine Suche auf die Korrespondenz zwischen ihnen beschränkt und zog Biographien hinzu. Außerdem habe ich versucht, die übrigen Erstausgaben von The Picture of Dorian Gray mit Widmung zu finden, um zu sehen, welchen Personen aus seinem Freundeskreis Wilde diese wertvollen Stücke sonst noch überlassen hat.

Wie ernst war die Freundschaft wirklich, wenn sich Louÿs nur zwei Jahre später von Wilde distanzierte, weil dieser ihm sein Werk Salomé widmete? Es enthielt einen homosexuellen Unterton, mit dem Louÿs nicht in Verbindung gebracht werden wollte.

So merkwürdig es klingt: Ich glaube, es war eine wirkliche Freundschaft. Oscar Wilde bat Pierre Louÿs’ auch um Rat, während er die französische Fassung von Salomé schrieb. Nur wenige Monate zuvor hatten sie sich erstmals getroffen. Später hat Louÿs ein Gedicht von Wilde übersetzt, das dieser seinem Liebhaber Lord Alfred Douglas widmete. Sie haben also schon sorgsam die Werke des jeweils anderen gelesen. Pierre Loüys war auch bei Oscar Wildes Beerdigung. Die Freundschaft muss ihm also auch  noch Jahre, nachdem er den Kontakt zu Oscar Wilde abgebrochen hatte, etwas bedeutet haben.

Das Grabmal von Oscar Wilde auf dem Friedhof Pére Lachaise in Paris. Copyright: Pixabay
Das Grabmal Oscar Wildes auf dem Friedhof Pére Lachaise in Paris. Credits: Pixabay/ddouk

Die Ausgabe, Nummer 74 von 250 signierten Exemplaren, ist auf hartem, recht rauem Papier gedruckt (Velinpapier). Was verrät Ihnen ein solches Detail?

Für eine Luxusausgabe ist der Druck auf Velinpapier relativ normal. Deluxe-Ausgaben haben stets folgende Eigenschaften: eine limitierte Druckauflage (hier waren es 250 Stück der Erstausgabe, aber in solchen Fällen sind auch 50 Stück oder weniger möglich), ein Druck auf Deluxe-Papier (in diesem Fall Velinpapier, manchmal Japan- oder Chinapapier) und ein Originalcover, das sorgsamer dekoriert ist als die regulären Ausgaben des Buches. Das Exlibris des Buchexperten Lucien Graux im Buch ist ein Beweis für seine Herkunft. Das war aufschlussreich für mich.

Mögen Sie die Werke von Oscar Wilde? Speziell The Picture of Dorian Gray?

Ich bin tatsächlich eine begeisterte Wilde-Leserin!  The Picture of Dorian Gray  las ich als Schülerin und noch einmal einige Jahre später. Mir gefielen der Stil von Oscar Wilde, die Psychologie seiner Charaktere und besonders der Hintergrund der Geschichte. Trotzdem wusste ich vorher nie so viel über ihn als Person oder über seine Freundschaften. Deshalb war ich froh, über meine Arbeit an einem solchen Band arbeiten und auf diesem Weg so viel mehr herauszufinden zu können. Ein Glück!

Oscar Wilde, 1882. Copyright: pixabay, janeb13
Oscar Wilde, 1882. Credits: pixabay/janeb13

Wer, denken Sie, wird das Buch erwerben? Und steigt sein Wert weiterhin?

Ich glaube, es ist für eine Reihe potenzieller Käufer überaus interessant: für Institutionen, Universitäten oder Privatleute, die englische und französische Literatur ankaufen. Der Wert dieses Werkes kann weiter steigen, denn Oscar Wilde wird immer mehr gelesen und gewinnt in Frankreich an Bekanntheit. Im Petit Palais in Paris gab es 2016 eine tolle Ausstellung. Das beweit seine zunehmende Berühmtheit in Frankreich.

Hat Ihre Arbeit mit alten Büchern und Manuskripten Ihre Einstellung zu Büchern und Papier verändert?

Ja. Als Spezialistin für alte Bücher und Manuskripte habe ich ständig die Möglichkeit, neue Autoren kennenzulernen – deren Werke ich dann auch lesen möchte. Manche Menschen denken, wir hier lesen jedes Buch, das wir vor uns haben – leider nein! Das wäre nicht zu schaffen. Aber meine Arbeit hat meinen Blick auf die Herstellung eines Buches geschärft und gewährt mir Einblicke in den intimen Akt des Schreibens. Es berührt mich, handgeschriebene Manuskripte vor mir zu haben. Es versetzt mich ein Stück weit in den Kopf des Schriftstellers. Ich verstehe plötzlich, warum es bestimmte Auslassungen oder Änderungen im Text gibt.

Viel Erfolg für die Auktion, liebe Alice!

Alice Chevrier absolvierte einen zweijährigen Kurs in Geisteswissenschaften und Literatur (“hypokhâgne-khâgne”) und erwarb einen Abschluss in Ökonomie der Audencia Business School. Parallel machte sie ihren Bachelor und ihren Master in Kunstgeschichte in Paris. Schon im Studium stellte sie bei einem Praktikum in einem Auktionshaus fest, dass sie diese Arbeit liebt. So bewarb sie sich als Absolventin in der Abteilung Books and Manuscripts bei Christie’s Paris. Mit Erfolg.
Der Ire Oscar Wilde (1854-1900) war Schriftsteller, Dramatiker und Kritiker. Er galt als ebenso charmant und klug wie ästhetisch und verkehrte als Intellektueller in den guten Kreisen Englands. In seinen Werken thematisierte er Dekadenz und Hedonismus der gehobenen Zirkel der britischen Oberschicht. Das Viktorianische Zeitalter galt als prüde, zugleich herrschte die Stimmung des Fin de Siècle: eine Aufbruchs- und Endzeitstimmung zugleich. Oscar Wilde war eine schillernde Figur. Als homosexueller Künstler hatte er es schwer und wurde schließlich wegen „Unzucht“ zu zwei Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt. Die Erfahrung brach ihn. Er starb 1900 krank und verarmt in Paris.
Sein einziger Roman, The Picture of Dorian Gray, erschien 1891 beim Londoner Verlag Ward Lock and Co. Es handelt von einem jungen Mann, Dorian Gray, dem seine Schönheit zum Verhängnis wird. Umgeben von zwei männlichen Bewunderern, dem amoralischen Lord Henry Wootton und dem begnadeten Maler Basil Hallward, dessen Muse er ist, wird Dorian Gray immer narzisstischer. Als Basil Hallward ein Porträt von Dorian Gray anfertigt, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. 

Weitere Informationen:

Die erschwingliche Variante des „Dorian Gray“ gibt es von Penguin, (2012, ISBN: 9780141199498) oder, grandios ins Deutsche übersetzt, als insel Taschenbuch (2015, 9 Euro, ISBN: 978-3-458-36084-1).

The Picture of Dorian Gray, Copyright: Penguin
The Picture of Dorian Gray, Credits: Penguin/Randomhouse
Das Bildnis des Dorian Gray_Insel
Das Bildnis des Dorian Gray. Credits: Insel Verlag, Berlin

Nachtrag:
Lot 32, die Wilde-Edition, erzielte bei der Auktion vom 7. Oktober einen Preis von 100.000 Euro.

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