Atelierbesuch | Warum Künstlerin Christiane ten Hoevel Kunst als „Denken mit der Hand“ begreift

Zeichnen: Dahinter steckt mehr als das Abbilden von etwas, das für unser Auge sichtbar ist. Was die Künstlerin Christiane ten Hoevel darunter versteht, möchte ich bei einem Besuch ihres Ateliers in Berlin-Kreuzberg herausfinden. Bei einer Tasse Tee sprechen wir über ihre Arbeit.

Im Winter 2021 bot das Traditionsunternehmen Pelikan einen Online-Workshop im Rahmen seiner „Pelikan Passion Sessions“ an. Er trug den Titel „Painting meets Handwriting“ und vermittelte, wie aufregend es sein kann, einen Füller nicht nur zum Schreiben, sondern zum Zeichnen zu verwenden. Leider war der Kurs damals rasch ausgebucht, mein Interesse an der Künstlerin, die ihn leitete, aber geweckt.

Christiane ten Hoevel in ihrem Atelier. Credit: Judith Schallenberg

„Meine Kunst kommt kaum mal ohne Worte aus“, sagt Christiane ten Hoevel, als wir uns im Februar 2022 bei einer Tasse Tee in ihrer Wohnung treffen. Sie spielt damit auf ihre Bilder an. Vielen von ihnen haben eine verbale Ausdruckskraft, ob als Banner oder als Gemälde.

Seminare an der Akademie Faber-Castell und der Medical School Berlin

Eine gute Zeichnung decke für sie etwas auf, das nicht an der Oberfläche zu sehen sei, sagt sie. „Das, was darunter liegt, mit den Händen herauszuarbeiten, ist mein größter Antrieb.“ Kunst als verbindendes Element zu sich und anderen zu verstehen, gibt ihr Motivation. Die findet auf zwei Wegen ihren Ausdruck: in eigenen Werken und in der Tätigkeit als Kunstdozentin.

Seit 20 Jahren unterrichtet ten Hoevel an privaten Hochschulen. Darunter sind die Medical School Berlin, wo sie kreative Methoden für die Sozialarbeit vermittelt, oder die Akademie Faber-Castell in Stein bei Nürnberg. In Seminaren wie „Wort und Bild„, „Einstiege in künstlerisches Arbeiten“ oder „Digitales Zeichnen“ vermittelt ten Hoevel Interessierten praktische Kenntnisse ebenso wie individuelle Wege in die Kunst. Online unterrichtet sie schon seit Jahren. „Sobald eine Beziehung zwischen mir und den Teilnehmenden aufgebaut ist, arbeitet es sich am Bildschirm ganz wunderbar“, findet sie. „Alles fußt auf Vertrauen.“

Ihre aktuellen Arbeitsprojekte: So hat Christiane ten Hoevel sie an der Wand im Blick. Credit: Judith Schallenberg

Nach dem Studium der Freien Malerei an der Universität der Künste war Christiane ten Hoevel ein paar Jahre als Grafikerin beschäftigt. Ein Grund, warum sie sich bis heute nicht als Teil der etablierten Kunstszene sieht? „Ich begreife mich hauptsächlich als Zeichnerin“, sagt sie. „Statt mich aber in erster Linie über Produkte zu verkaufen, habe ich Menschen ins Zentrum gestellt.“ Im Idealfall bestehe ihre Arbeit aus ein Drittel Lehren, zwei Drittel Kunst. „Oft klappt das auch.“

Buchporträts der Künstlerin. Credits: Judith Schallenberg/Christiane ten Hoevel

Sie zeichnet auch Porträts liebgewonnener Bücher

An der Akademie Faber-Castell besuchen vor allem Frauen jenseits der 40 ihre Seminare. „Eine interessante Erfahrung: Viele von ihnen kommen, um mit der Kunst etwas zu realisieren, was sie schon immer machen wollten“, sagt die Künstlerin. „Was sie dann finden, ist nicht nur die eigene Kunst – es ist eine Haltung.“

Weil es der Künstlerin so viel Spaß macht, Menschen zusammenzubringen und das Schöpferische in ihnen zu wecken, bietet sie ab dem 25. April gemeinsam mit zwei Künstlerinnen ein weiteres Projekt: Als „Art Grannies“ wollen die Frauen via Zoom „weibliche Sichtweisen und Arbeitsstrategien in der Kunst“ vermitteln und gemeinsam mit Bleistift, Wasserfarben und Papier gemeinsam tätig werden. Buchbar ist das als wiederkehrender Kurs geplante Seminar über Eventbrite.

Buchporträts, 2021. Credit: Judith Schallenberg/Christiane ten Hoevel

Zum vielfältigen Repertoire von Christiane ten Hoevel zählen Wort-Botschaften auf Papier und Textil ebenso wie Modezeichnungen und Porträts – von sich, von anderen, auch von Büchern. Sie fallen mir gleich ins Auge. „Die Buchporträts entstanden, als ich bei einer Bekannten feststellte, wie verbindend es wirkt, wenn man seine Lieblingsbücher bei anderen im Regal findet“, sagt sie. „Ich stelle mir vor, wie all die Bücher durch den Geist des anderen gegangen sind und sein Denken geformt haben.“

Bei ihren Arbeiten leitet ten Hoevel oft der Zufall. Künstlerisches Lernen sei ein Erkundungsprozess. „Er ist nie linear.“ So liefern ihre Motive immer wieder überraschende Blicke auf das eigene Arbeiten und Leben. In den bemalten und bedruckten Papieren und Textilien der Künstlerin ist immer wieder auch sie selbst zu sehen.

Manchmal hängt die Künstlerin einfach Botschaften aus dem Fenster

Denn Leben und Kunst sind bei ihr kaum voneinander zu trennen: Ihre Wohnung beherbergt auch ihr Atelier. Ein Raum mitten in Kreuzberg, in einer Genossenschaft oberhalb der Yorckstraße, abgewandt vom Straßenlärm. „Es ist toll, mittendrin zu leben, andererseits stehe ich unter Dauerbeobachtung“, sagt ten Hoevel. Denn sie macht sich sichtbar.

Blick an die Wand des Ateliers von Christiane ten Hoevel. Hier zu sehen: grafisch geprägte Modestücke.
Credits: Judith Schallenberg/Christiane ten Hoevel

In der Coronazeit entwarf sie Botschaften auf Vorhängen, „Freiheit ist kein Selbstläufer“ stand darauf oder „Freiheit muss man sich nehmen“. Von Zeit zu Zeit hängt sie diese Vorhänge einfach aus dem Fenster. „Auch Parks und andere öffentliche Plätze sind ideal für plakative Botschaften, die Menschen auf wesentliche Fragen aufmerksam machen“, findet sie. „Das lässt mich nicht los, auch wenn Einzelne immer mal wieder Anstoß daran nehmen.“

Ein Vorhang mit Banner „Freiheit muss man sich nehmen“.
Credits: Judith Schallenberg/Christiane ten Hoevel

Welche Werte lenken mich? Wer sind meine Vorbilder? Wie kann ich sie in mein eigenes künstlerisches Schaffen integrieren? Wie umgehen mit Stille? Was braucht die Welt von mir? ten Hoevels Schaffen ist von Fragen geleitet. Manche von ihnen, die sie philosophisch umtreiben, schaffen es bis an die heimische Wohnzimmerwand. „Was will das Leben von mir?“, ist auf einem eigenen Druck zu lesen. Ein Ansporn, das eigene Tun zu reflektieren und in der Spur zu bleiben.

„Dranbleiben ist wichtig – dann ist Arbeiten so selbstverständlich wie Zähneputzen“

Fragen prägen auch ihr Arbeitsbuch Denk mit der Hand 2: Einstiege ins Zeichnen. Das prall gefüllte Memorandum voller Stichworte und kreativer Aufgaben ist eine Anstiftung zur Kreativität. „Sprich einen Gedanken aus, den du heute gedacht hast. Versuche deine Worte zu zeichnen.“ Oder: „Mache – ohne Plan – 20 Zeichnungen in 20 Minuten.“ Die Aufgaben sind vielfältig. „Bevor du einen Koffer für eine Reise packst, mach eine gezeichnete Packliste“ ist eine weitere Empfehlung.

Den vielen Wirkkräften, Einflüssen, Sichtweisen rund um die Kunst im eigenen Leben näherte sich Christiane ten Hoevel auch über ihre Bildersammlung 365 Tage Leben. Dem Buch ging eine Frage voraus: Wäre dieses Jahr mein letztes, was würde ich tun und lassen? „2019 habe ich ein Jahr lang jeden Tag eine Zeichnung zu diesem Gedanken gemacht“, sagt sie. „Heraus kam eine Wertschätzung des Lebens.“

Seit über 30 Jahren ist Christiane ten Hoevel Künstlerin und Kunstvermittlerin und war in diesem Auftrag viel unterwegs. Auch jetzt, in Pandemie-Zeiten, hält sie mehrere Projekte am Laufen. Eine feste Zeit täglich gilt nur ihrer Arbeit: die goldene Stunde. „Die erste Zeit am Tag ist ist die unbelastetste“, sagt sie. „Die halte ich mir frei.“ Außerdem sei regelmäßiges Arbeiten wesentlich. „Dranbleiben ist wichtig. Dann entsteht viel, dann ist Arbeiten so selbstverständlich wie Zähneputzen.“

Der Arbeitsplatz der Künstlerin. Credit: Judith Schallenberg

Weitere Informationen:

Die Kunstwebsite von Christiane ten Hoevel informiert auch über ihre Seminare.

Hier geht es zur Bestellmöglichkeit ihrer Bücher.

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