Kafka aus der Schreibstatt

Lebensfreude | Briefe schreiben (II): Post von Kafka – Die Schönschreiber der Berliner „Schreibstatt“

Die Berliner „Schreibstatt“ von Thorsten Petzold besetzt erfolgreich eine Nische: Sie bietet Handgeschriebenes für Unternehmen und Privatleute. Vom Entschuldigungsbrief bis zum Heiratsantrag reicht der Service. Er ist beliebt.

Sie mögen Literatur? Und handgeschriebene Briefe? Dann stellen Sie sich folgendes Szenario zu Ihrem Geburtstag vor: Sie lesen gern Kafka und erkennen seine Handschrift. (Sie wissen: Eines der seltenen handgeschriebenen Manuskripte von ihm kostet heute ein Vermögen). Sie erhalten Geburtstagspost. Da ist ein Brief im Kasten, der Sie elektrisiert. Post von Franz Kafka. Handgeschrieben!

Kafka aus der Schreibstatt
Tatsächlich: Die Handschrift ist der von Kafka verblüffend ähnlich. Credits: Thorsten Petzold, Berlin
Kafka: Brief an seine Geliebte aus dem Hotel Gabrielli Sandwirth, Venedig
Kafka im Original: Brief an seine Geliebte aus dem Hotel Gabrielli Sandwirth, Venedig, 1913.
Credits: Hotel Gabrielli, Venedig

Eines ist gewiss: Briefe werden geöffnet

Dahinter verbergen sich Schreibtalente wie Saskia Tetzlaff. Die Berlinerin arbeitet freiberuflich in Thorsten Petzolds „Schreibstatt“. Ausgerüstet mit Füller und Tinte ihrer Wahl, gern von Faber-Castell, schreibt sie Briefe im Auftrag der Kunden. Inhalt? Länge? Das ist so individuell wie eine Handschrift.

„Die Herausforderung mit Post heute ist, aufzufallen, damit ein Brief geöffnet wird“, sagt Thorsten Petzold. „Handgeschriebene Briefe haben eine Öffnungsrate von 99,2 Prozent.“ Sein Unternehmen ist Europas größte Manufaktur für handgeschriebene Unternehmenskommunikation. In seiner „Schreibstatt“ geben Privatleute und Firmen besondere Schriftstücke in Auftrag.

Saskia Tetzlaff
Saskia Tetzlaff, Schönschreiberin bei der Schreibstatt. Credits: Thorsten Petzold, Berlin

Mal möchte sich eine Frau mit Handgeschriebenem aufwändig bei jemandem entschuldigen. Ein Mann möchte einen Liebesbrief verschicken, ein Unternehmenschef stilvoll zu einer Feier einladen. Handgeschriebenes ist die Ausnahme: Unternehmen kommunizieren heute maschinell. Schreiben an Kunden folgen standardisierten Mustern. Das spart Zeit und Geld. Individualität? Fehlanzeige.

Wer Handgeschriebenes schickt, punktet.

Thorsten Petzold, „Schreibstatt“
Er hat das Sagen in der Schreibstatt: Thorsten Petzold. Copyright: Thorsten Petzold, Berlin
Er hat das Sagen in der Schreibstatt: Thorsten Petzold. Credits: Thorsten Petzold, Berlin

Wer einen handgeschriebenen Brief erhält, fällt für einen Moment aus der Zeit. Das liegt meist am Absender. Und an der Seltenheit des Ereignisses: Was innerhalb eines Jahres an Handgeschriebenem in den Briefkasten flattert, können die meisten Menschen an einer Hand abzählen. Das persönliche Schreiben schafft Nähe und zeigt Wertschätzung.

Weiße Handschuhe und Füllfederhalter

Die „Schreibstatt“ schafft das mit einem Spektrum verschiedenster Schriftstücke wie Einladungen, Save-the-Day-Karten, Dankschreiben, Kondolenzbriefen, Heiratsanträgen, Paketbeilegern und Briefen zur Neukundenakquise. Die Auftraggeber kommen aus aller Welt. Unter ihnen sind Privatleute und große Unternehmen, die stilvoll zur Weihnachtsfeier oder zum Event einladen wollen.

Briefe aus der Schreibstatt
Post aus der Schreibstatt für Kunden. Credits: Thorsten Petzold, Berlin

Thorsten Petzold hat ein Auge für Alltagshandschriften, die anders sind. Ein bestimmter Schwung, eine außergewöhnliche Schriftführung? Eine Handschrift, die aus dem Rahmen fällt, nimmt ihn gleich gefangen. Vier feste und 80 freie SchönschreiberInnen, davon fünf Prozent Männer, greifen für Thorsten Petzold regelmäßig zu weißen Handschuhen und Füller und setzen individuelle Botschaften in Szene. Unter den Schreibenden ist auch eine Kalligraphin.

„Ich bin an einem Liebesbrief gescheitert“

Schnell und zugleich schön schreiben ist wichtig“, sagt der Geschäftsführer. Wer sich bei ihm um Mitarbeit bewirbt, muss zunächst das Lieblingsgedicht des Chefs von Hand abschreiben: „Stufen“ von Hermann Hesse. Diese Handschriftenprobe senden Bewerber ihm zu. „Eine Schrift muss sich in gewisser Weise rechnen“, so Petzold. Seine Kunden zahlen pro Stück. „Gut ist, wenn jemand routiniert schreibt und dabei nicht viel daneben geht.“

Länger als drei Stunden am Stück schreibe sie selten, sonst leide die Qualität, betont Schreibstatt-Mitarbeiterin Saskia Tetzlaff. Sie lebt in Berlin, ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin und Hamburg. Die Schreibstatt ist auch an der Elbe vertreten. „Nur so klappen Kurierlieferungen zu den Kunden.“

Menükarte mit Fuchs: Schriftstück der Schreibstatt für das Unternehmen Montblanc anlässlich der Serie "Le Petit Prince Aviator", 2016. Copyright: Thorsten Petzold, Berlin
Menükarte mit Fuchs: Schriftstück der Schreibstatt für das Unternehmen Montblanc anlässlich der Serie „Le Petit Prince Aviator“, 2018. Credits: Thorsten Petzold, Berlin

Thorsten Petzold selbst greift für seine Kunden nie zur Feder. Der Grund? Alles begann damit, dass ich einen Liebesbrief schreiben wollte und scheiterte. Nach mehreren Versuchen gab ich auf. Die Worte im Brief, meine Schrift, das ging einfach nicht zusammen.“ Ein guter Startpunkt: 2013 gründete er die Schreibstatt, 2015 die Plattform „Schöne Briefe“. Seitdem erlebt er täglich, wie gut Handgeschriebenes ankommt. „Dabei gäbe es uns ohne das Internet gar nicht.“

Bleibt die Frage, womit das Team am liebsten arbeitet. „Wir haben das Papier ‚Lakepaper extra+ matt‘ in der Farbe Hochweiß für uns entdeckt“, sagt Petzold. „Es ist 100 Gramm stark und hat eine tolle Haptik. Gleiches gilt für die Kuverts.“ Bei Füllern und Tinten schwören er und seine Mitarbeiter auf Faber-Castell. „Everybody’s Darling ist der Füllfederhalter ‚Ambition‘, am liebsten mit der dünnen EF-Feder und der Tinte in Cobalt Blue. Sie etwas dunkler ist als das klassische Königsblau. Das Ergebnis ist ein sattes Schriftbild, das nicht nachträglich ausbleicht.“

Informationen:

„Schreibstatt“, Manufaktur für handgeschriebene Kommunikation, Berlin

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Briefe schreiben (I) – Von Liebesbriefen und Festtagszeilen

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