Die Nacht hat viele Gesichter. Auf vielfältige Weise hat sie seit schon immer Eingang gefunden in Literatur und Kunst, und weil die Nacht ein Teil des Lebens ist, der Menschen fasziniert, erholt, beschäftigt, verzweifelt oder wachhält, gibt es jede Menge Inspiration auf Papier. Einige, die mir im Laufe der Zeit besonders aufgefallen sind, habe ich zusammengestellt. Bonne nuit.
Ein Wortsammler mit Hang zur Nacht ist der Ex-Augenoptiker und Ex-Webdesigner Lenny Löwenstern, Schriftsteller, der von sich sagt, er habe „nichts als Sterne im Kopf“. Mehr noch. Lenny „liebt schöne und alte Wörter und ist ebenso sternverrückt, wie mondbeschimmert, himmelsstürmend und traumvergessen.“ Das sind beste Voraussetzungen für kreative Gedanken an die Nacht. Und tatsächlich: Neben Sammlungen besonderer Buchtitel und magischer Adjektive stellt er schon mal lesenswerte Wörter rund um die Nacht zusammen.
Pier Paolo Pasolini, „Nachtwachen, der 21. Oktober“
Der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini war zugleich Dichter und Publizist. In seinen Werken beschreibt er nicht selten die Jugend im Italien Fünfziger Jahre in Italien, etwa das einfache Leben in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen in den römischen Vorstädten. Ein Leben, in dem die Nacht auch ein Stück Freiheit bedeutet hat. Davon erzählt der folgende Ausschnitt aus einem seiner Bücher, übersetzt von Susanne Kopetzki. Er entstammt dem Buch Rom, andere Stadt (Corso Verlag, 2015).
Um diese Zeit ist Rom ein Dorf. Die Nacht ist schwarz und schroff: alles leer, alles nah. Von der Piazza del Popolo gelangt man augenblicklich zur Piazza Venezia, es sind zwei Schritte. Und rechts und links menschenleere Straßen, sehr alte Straßen (…). Das Licht wirkt fast morgendlich, ohnehin ist um mich herum alles verlassen (…).
Alle kennen einander wie in einer Kleinstadt: So muss Rom vor hundert Jahren gewesen sein, die Nacht hat es in vergangene Jahrhunderte zurückgeworfen. (…)
Das schwarze Auto hält neben mir, es ist voller junger Männer, auch sie schwarz und bleich vor Müdigkeit mit ihren von schläfriger und stürmischer Jugend strotzenden Kiefern und Haaren. Wir kennen einander. Lebhafte Begrüßung, Händeschütteln durch die Wagenfenster. (…)
Ich trete aufs Gaspedal und verschwinde in die Via del Corso, während das schwarze Auto hinter mir zurückbleibt, allein, vor dem Bühnenbild eines Rom, das in einer Schirokko-Nacht wiederaufgebaut wurde, nach dem Ende der Welt.“
Ausschnitt aus dem Buch Pier Paolo Pasolini. Rom, andere Stadt, Corso
Goethe und die Nacht
Auch Goethe widmete sich in ganz unterschiedlichen Weisen der Nacht. Zum Beispiel im Rahmen von meteorologischen Zeichnungen. Als er seine GedichtsammlungWest-Östlichen Divan zusammen mit Marianne von Willemer verfasste, sollen sie für ein gutes Gelingen des Werkes die Kraft des Mondes gesucht und sich versprochen haben, „bei Vollmond einander zu bedenken und sich in ihm zu begrüßen“, schreibt Paul Heyse 1998 in seinem Vorwort zu einer Ausgabe des Bandes An den Mond von Goethe (Verlag Elisabeth Petersen).
Unser Leben ist eine Reise
Durch den Winter und die Nacht.
Wir suchen, was den Weg uns weise,
Am Himmel, wo kein Stern uns lacht.
Lied der Schweizer Garden, 1793
(…) „Wir küssten uns. Aber ich küsste sie nicht gut genug, nicht so, wie ich gemusst hätte, nämlich auf Knien. (…) Wir mischten uns wieder unter die Menge, dann verabschiedete ich mich vor ihrem Haus, wo sie arbeitete, denn die Nacht über bis zum frühen Morgen musste sie für ihre Kunden da sein. Während sie sich mit denen abgab, schmerzte es mich dann doch, und dieser Schmerz sprach mir so deutlich von ihr, dass ich mich ihr noch näher fühlte als in der Wirklichkeit.
Ich ging ins Kino, um mir die Zeit zu vertreiben. Als ich wieder herauskam, stieg ich in eine Straßenbahn, fuhr ziellos hierhin und dorthin, Erkundungsfahrten durch die Nacht. Nach zwei Uhr früh stiegen immer scheue Passagiere von einer Art ein, die man sonst nie zu Gesicht bekommt, weder vor noch nach dieser Stunde, blass immer und schlaftrunken, in geduldigen Trupps, und fuhren in die Vororte hinaus. Mit denen fuhr man weit. Weiter als bis zu den Fabriken, bis hin zu ungeordneten Siedlungen, schmalen Straßen voll gesichtsloser Häuschen. Über dem vom Nieselregen rutschigen Straßenpflaster glomm der blaue Tag auf.“
Aus Louis Ferdinand Céline, Reise ans Ende der Nacht, Rowohlt 2004
Nacht-Motive von Akira Kusaka
Das Schreiben in der Nacht oder zu Motiven der Nacht hat viele Fans. Ich gehe mit wachen Augen durch Läden und Buchhandlungen, Onlineshops und finde regelmäßig Motive, die ich mir merke und gern weiterempfehle. Darunter das Letterset unten nach einem Motiv des japanischen Künstlers Akira Kusaka. Von ihm gibt es noch mehr Werke zum Thema. Lauter phantasievolle Begegnungen mit der Nacht.
Nacht in Venedig
Gondeln in den venezianischen Kanälen bei Nacht: Zu dieser Zeit sieht man sie selten fahren. Die Phantasie der Künstler inspirieren sie trotzdem. Denn wenn die Nacht irgendwo besonders berührend erlebt werden kann, dann an diesem Ort.
Ein immerwährendes Kalender-Lese-Tagebuch zur Nacht, das seinesgleichen sucht, erschiein 2018 im Verlag Hermann Schmidt, Das Buch der Nächte. Es ist schon beim Durchblättern und Überfliegen ein Genuss. In einer schlaflosen Nacht bietet es viel Raum für eigene Ideen und Pläne. Ein Bleistift gehört also unbedingt dazu. Das Buch beleuchtet das Hauptthema inhaltlich von vielen Seiten, Gespräche mit Akteuren der Nacht inklusive. Herausgegeben wurde es von Klaus Beyrer. Aufgefallen ist es dann zu Recht gleich mehrfach: Es erhielt den Certificate of Typographic Excellence des Type Directors Club of NY und eine Würdigung der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher 2018.
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