Dossier – Auf Papier | Diese Bücher und Papiere bringen den Sommer in Ihre Gedanken

Dieser Sommer ist anders. Unbeschwertheit? Klappt selten. Rettung? Ist verborgen im Kleinen, indem wir uns einsetzen für unser Miteinander und die Umwelt. Jetzt zählt Optimismus. Hier ein paar Bücher und Karten, die uns stärken.

„Richte dein Gesicht immer zur Sonne /

und die Schatten werden hinter dich fallen“

Walt Whitman

Für Augenblicke mit Stift und Papier und für gute Lektüre ist immer Platz. Die Dinge, die ich Ihnen als Begleiter für die nächsten Wochen empfehle, lenken die Gedanken auf das eigene Leben. Sie wecken Erinnerungen oder Sehnsucht und vermitteln Überraschendes. Es sind Empfehlungen für frühe oder späte Stunden auf Balkon, Wiese, Sofa, am Strand für den Sommer und die Zeit danach.

Sie möchten mal wieder einen Brief oder eine Karte schreiben? Oh ja! Motive mit Sommer gibt es wie Sand am Meer. Zum Beispiel diese Beach Party, eine Karte aus Prag. Es gibt sie bei Bohemia Paper online, einem Shop des Papierhändlers Adam Řehák aus Prag.

Credit: Bohemia Paper

Auch die Künstlerin Viktoriya Dimcheva aka Vicky Di aus Potsdam hat jede Menge Sonne im Angebot ihres Shops. Zum Beispiel dieses „Surfer Girl“, das es auch als Print gibt. Zu bestellen online.

Credit: Vicky Di Studio

Ein treuer Gefährte für Notizen jeder Art ist der Drehgriffel (Leuchtturm1917), ein Kugelschreiber in der Farbe Zitronengelb. Er ist aus Messing und Aluminium und hat eine Mine in der Größe M. Von Haus aus kommt er mit blauer Tinte. Ein Notizbuch dazu, schon bringt das Schreiben uns in Sommerlaune.

Drehgriffel Nr. 1 und Journal. Credits: Leuchtturm1917

Ein Journal mit Wolken hat Frankfurter Notizbuch-Label nuuna im Angebot.

Credit: nuuna

Sommer und Lesen: Das ist eine Einheit. Lesen kann vieles. Es lenkt nicht nur ab. Eine Stunde Video-Streaming verbrennt so viel Energie wie zwölf Kilometer Autofahren. Lesen dagegen gibt etwas. Es ist ein ressourcenschonender Weg zu mehr Kreativität.

Ein Stapel Geschichten für unterwegs oder den Sommer zuhause. Credit: Judith Schallenberg

Die Kurzgeschichte „Air Mail“ des US-Schriftstellers Jeffrey Eugenides zum Beispiel lohnt. Sie ist Teil des gleichnamigen Bandes von Kurzgeschichten (2003). Das Buch ist entweder in der örtlichen Bibliothek oder antiquarisch zu finden (etwa über ZVAB). Eugenides schrieb „Air Mail“ im Rahmen eines Künstleraufenthalts in Berlin. Witz und Tragik liegen nah beieinander, als Mitchell, der Protagonist, während eines Trips nach Indien auf Abwege gerät.

Credit: Judith Schallenberg

Seine Tage, geprägt von Sucht und Krankheit unter gleißender indischer Sonne, schildert er Verwandten und Freunden in den USA in Briefen.

„Grüße aus dem Paradies. Larry und ich leben gerade auf einer tropischen Insel im Golf von Siam (im Atlas nachsehen). Wir haben unsere eigene Hütte direkt am Strand, für die wir den stolzen Preis von fünf Dollar pro Nacht zahlen.

Die östliche Religion lehrt, dass alle Materie nur Täuschung ist. Dazu gehört alles, unser Haus, sämtliche Anzüge von Dad, sogar Mums Hängepflanzentöpfe – laut Buddha ist das alles maya. (…)“

Mitchell in „Air Mail“

„Air Mail“ ist so bizarr wie berührend. Eugenides schuf schon kongeniale Romane wie Middlesex und Die Selbstmord-Schwestern (The Virgin Suicides, 2011, später verfilmt von Sofia Coppola).

Credit: Judith Schallenberg

Eine Offenbarung sind auch Truman Capotes Romane. Als der Autor (Frühstück bei Tiffany’s) 1984 starb, ahnte niemand, dass Jahrzehnte später, 2005, sein Debütroman Summer Crossing entdeckt werden würde. Er hatte ihn mit 19 Jahren zu schreiben begonnen. Das vollständige Manuskript fanden Nachkommen 2004 in Capotes einstiger Wohnung in Brooklyn Heights.

„62 lose Seiten voller Notizen, mit feiner Handschrift in Tinte beschrieben und mit vielen Korrekturen am Rande. Was Ende 2004 in einem alten Pappkarton bei Sotheby’s, New York, abgeliefert wurde, sollte sich als vollständiges Manuskript herausstellen.“

Anuschka Roshani, Herausgeberin des Gesamtwerks
von Truman Capote beim Zürcher Verlag Kein & Aber

Im deutschsprachigen Raum erschienen der Roman unter dem Titel Sommerdiebe bei Kein & Aber. Es geht um das Leben der 17-jährigen Grady McNeil, wohnhaft an der Upper East Side Manhattans, die einen Sommer für sich allein in New York verbringt. Ihre Eltern Lucy und Lamont McNeil segeln nach Europa, Grady bleibt zuhause – und erlebt die Liebe, unter anderem.

..“Unbändiges Gelächter stieg in Grady auf, eine freudige Erregung angesichts dieses Sommers, der sich vor ihr erstreckte wie eine endlose weiße Leinwand, auf die sie selbst die ersten groben Pinselstriche auftragen konnte, ganz und gar frei.“

aus Truman Capote, Sommerdiebe
Credit: Judith Schallenberg

In New York spielt auch Siri Huvstedts Der Sommer ohne Männer (2011, Rowohlt). Dichterin Mia, verheiratet mit einem Neurowissenschaftler, erlebt eine Ehekrise, die sie an den Rand ihres Verstandes bringt. Nach einem Zusammenbruch klinkt sie sich für eine Weile aus. Es ist Sommer.

„Die Universität hatte ‚Verständnis‘ für meinen Zusammenbruch gehabt, und im September würde ich meine Lehrtätigkeit wiederaufnehmen. Es sollte die Auszeit zwischen einem durchgeknallten Winter und einem geistig gesunden Herbst sein, ein ereignisloser Hohlraum, den ich mit Gedichten füllen konnte.“

aus Siri Huvstedt, Der Sommer ohne Männer

Ganz so ereignislos wird der Sommer in ihrer alten Heimat Minnesota für die Dichterin nicht. Sie hält einen Poesiekurs für Jugendliche ab – und baut neben vielen Erinnerungen langsam eine Distanz zu ihrer Ehe und ihrem Mann auf, der sie betrügt. Dann nehmen die Dinge eine besondere Wendung.

Credit: Judith Schallenberg

Eines meiner Lieblingsbücher ist ein Band mit Miniaturen von Paul Auster, Mann von Siri Huvstedt: Das rote Notizbuch (Rowohlt, 2019). Diesen Band habe ich, wie einiges andere von ihm, auch im Original verschlungen. Auster erzählt wahre kleine, beinahe unglaubliche Erlebnisse aus seinem Leben. Jede ist ein kleines Wunder.

Sommerlektüre von Nagomi über Solar bis Die hellen Tage

Nicht nur Fiktives ist sommertauglich und belebend. Neu auf meinem Tisch ist ein Sachbuch des japanischen Autors und Neurowissenschaftlers Ken Mogi, Nagomi. Der japanische Weg zu Harmonie und Lebensfreude. Mogi bringt uns ein zentrales japanisches Lebenskonzept nahe: eine Denkschule, mit der es seinen Landsleuten seit Jahrtausenden gelingt, Gelassenheit und Harmonie ins Leben zu holen. Sommer für die Seele, sozusagen.

Credit: Judith Schallenberg

„Was ist Nagomi? Man könnte sagen, es steht für Gleichgewicht, Behaglichkeit und Ruhe von Herz und Geist. Bei nagomi kann es um die Beziehung zur eigenen Umwelt gehen oder um die Art, wie man mit anderen Menschen kommuniziert. Es kann – etwa beim Kochen – ein ausgewogenes Mischungsverhältnis von Zutaten bezeichnen.“

aus Kent Mogi, Nagomi

Mogi zeigt die konkrete Bedeutung von nagomi bezogen auf unterschiedliche Lebensbereiche wie Gesundheit, lebenlanges Lernen oder Beziehungen. Leserinnen und Leser erfahren, wie es gelingen kann, dem dauernden Wandel zu begegnen und Umbrüche ins Leben zu integrieren. Ein anderer, erhellender Blick nach Japan, das Land, das ich seit jeher schon allein für seine Papierkultur und einige besondere Schriftstellerinnen und Schriftsteller schätze.

Credit: Judith Schallenberg

Zeitlos (und im Nebenschauplatz unerwartet aktuell) ist Ian McEwans Roman Solar aus dem Jahr 2010. Protagonist Michael Beard ist ein Physiker und Nobelpreisträger in der Midlife-Crisis. Als Direktor des Nationalen Instituts für Erneuerbare Energien in Reading hätte er bedeutungsvolle Aufgaben. Aber alles, was ihn umtreibt, ist seine fünfte Ehe, die gerade scheitert. Dem Klimawandel begegnet er allenfalls mit Überdruss.

„Beard persönlich trieb der Klimawandel gar nicht so sehr um. Für ihn war das Thema eines unter vielen auf einer langen Liste von bedrohlichen Entwicklungen (..); er las darüber, fand es irgendwie beklagenswert und ging davon aus, dass die Regierungen sich schon darum kümmern würden.

Natürlich wusste er, dass Kohlenwasserstoffmoleküle Energie im Infrarotspektrum absorbierten und dass die Menschheit beträchtliche Mengen dieser Moleküle in die Atmosphäre pustete. Aber er selbst hatte andere Sorgen.“

aus Ian McEwan, Solar
Credit: Judith Schallenberg

Kennen Sie Filme von Orson Welles? Der US-Regisseur, der 1985 in Los Angeles starb, galt als einer der besten Regisseure weltweit. Eines seiner bekanntesten Filmprojekte war „Citizen Kane“ (1941). Im selben Jahr arbeitete er an einem Film, halb Dokumentation, halb Fiktion, über vier Fischer in Brasilien. Die Männer waren auf einem Floß mit Segel gut 2000 Kilometer über das Meer nach Rio de Janeiro gesegelt. Dort hatten sie den Präsidenten um mehr Rechte gebeten. Sie waren arm, ihre Familien litten Hunger. Welles beschloss, ihre Fahrt übers Meer zu verfilmen. Mit ihnen. Einer von ihnen, Jacaré, überlebte die Dreharbeiten nicht. Carmen Stephan erzählt seine Geschichte.

„Jacaré war neun Jahre alt, als sein gleichaltriger Cousin Pedro im Meer ertrank. Seine Mutter stand im Eingang der Schilfhütte, eine Tür gab es nicht. Weil sie auf ihn wartete, wusste er, dass etwas geschehen war. (..) Als es noch zwei Schritte zu ihr waren, sagte sie: ‚Pedro ist tot.‘ (…) In den Augen seiner Mutter stand die Verzweiflung, aber auch am nächsten Tag, die nächsten Tage sprach sie nicht mit ihm. (…)

Es war das erste Mal, dass er spürte, ohne sich dessen bewusst zu sein: Wenn die Menschen nicht wahr zueinander waren, waren sie nicht mit ihren Herzen verbunden. Das Herz seiner Mutter schlug. Sein Herz schlug direkt daneben. Aber sie waren getrennt.“

Credit: Suhrkamp Verlag

Zuletzt empfehle ich Lyrik von Serhiy Zhadan. Der 47-jährige ukrainische Dichter und Schriftsteller, der gerade den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hat, schrieb unter anderem den Roman Die Erfindung des Jazz im Donbass. Wiederholt erzählt er von der Region in der Südostukraine, die direkt an Russland grenzt und schon immer Konfliktregion war. Aber wie Zhadan es tut! Lesen Sie Antenne.

Wie viele seiner Bücher, ist auch dieses gerade schwer zu beschaffen. Warten aber lohnt sich. Diese Sprache. Die Bilder. Zhadan schreibt ermutigend, er spart das Schwere nicht aus, doch er findet Worte für das, was das Leben wichtig macht – auch in schweren Zeiten.

„Dass mein Vater Tagebuch führte, hatte mich mehr als erstaunt. (…) Seine Einträge machte er auf Notizblöcken. Die er nicht geheim hielt. Im Gegenteil. Merkwürdige Aufzeichnungen waren das. Geschrieben von einem Menschen, der in seinem Leben so gut wie nie einen Stift in die Hand nahm. (…)

In seinen Tagebüchern war mein Vater ungewohnt wehrlos. (..) Ich musste seine Einträge zum Wetter lesen, um zu verstehen, wie wichtig wir ihm waren. Die große Magie des Schreibens besteht darin, selbst mit Zahlen Freude und Trauer ausdrücken zu können.“

aus Serhiy Zhadan, Antenne. Gedichte
Credit: Etienne Girardet, Unsplash

Hinweis: Die hier erwähnten Produkte sind eine persönliche Empfehlung. Ich arbeite redaktionell unabhängig.

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