Wer Tee und Papier schätzt, sollte Jens de Gruyter kennen. In seinen „Paper & Tea“-Stores bietet der Deutsch-Kanadier sorgfältig Kuratiertes aus beiden Produktwelten. Warum? Guten Tee zu zelebrieren, verlangt Zeit, Kenntnis, Muße und die Fähigkeit zum Genuss – so ist es auch mit Papier. Es gibt weitere Gemeinsamkeiten.
Die asiatische Teekultur ist Tausende von Jahren alt. Hier verlangt das Trinken von Tee Zeit und einen geduldigen Geist. Europäern ist das nicht in die Wiege gelegt. Jens de Gruyter bildet eine Ausnahme. Der Deutsch-Kanadier, aufgewachsen im kanadischen Ontario, pflegte schon viele Jahre eine grosse Liebe zum Tee. 2012 machte er daraus ein Geschäft: Er eröffnete er in Berlin den ersten „Paper & Tea“ Store.
An einem geschäftigen Dienstag im März empfängt mich Jens de Gruyter in der Charlottenburger Bleibtreustrasse. Das Rauschen der nahen Kantstrasse ist rasch weit fort. Kaum habe die puristisch gehaltenen Räumlichkeiten seines Geschäfts betreten, bin ich in einer anderen Welt. Der Kosmos von Tee und Papier, klar und wohlgeordnet, hüllt mich ein.
Im hinteren Bereich des Geschäfts befindet sich die Teeküche, und wohl nur hier darf sie auch wirklich so genannt werden. Im angrenzenden Raum steht ein grosser Tisch, an dem das geschulte Team von „Paper & Tea“ alle 14 Tage Teeseminare anbietet.
Jens de Gruyter bereitet mir einen Osmanthus Oolong-Tee zu.
Herr de Gruyter, „Paper & Tea“ ist eine Erfolgsgeschichte. Darauf einen Tee! Welchen empfehlen Sie?
Heute trinken wir eine Kanne „Chang-e“, einen Oolong-Tee mit Noten der Osmanthus-Blüte. Er hat kräftige Zitrusaromen. „Chang-e“ ist der Name der chinesischen Göttin des Mondes. Ihr verdanken wir einer Legende nach die Duftblüte Osmanthus.
Der Ganzblatt-Tee befindet sich bereits in der Teekanne – 1-2 gehäufte Teelöffel Ganzblatt-Tee auf 250 ml sind ein guter Richtwert. Doch einfach kochendes Wasser aufgiessen? Nein! Zunächst werden die Teeblätter sanft aufgeweckt, „Waking up the Leaves“ nennt sich der Prozess, bei dem die Teekanne mit heissem Wasser angewärmt wird. In bis zu sechs Aufgüssen zwischen 30 Sekunden und zwei Minuten entfalten die Blätter ihr Aroma. Teekenner nehmen sich die Zeit. Es lohnt sich.
Wie kamen Sie auf die Idee zu „Paper & Tea“ – oder kam die Idee zu Ihnen?
Es gab drei große Erfahrungen, die mich zu „P&T“ führten. Die erste ist mein Patenonkel Helwig Hooss. Er hat für das Deutsche Teebüro in Hamburg, so etwas wie ein nationaler Teeverband, viele Jahre Teezeremonien durchgeführt. Helwig Hooss war Teil einer Kaffeedynastie. Die zweite prägende Erfahrung war meine Studienzeit in Kanada. Onkel Helwig schickte mir regelmässig Päckchen mit Kaffee. Den genoss ich. Die dritte Erfahrung war meine Zeit in New York. Ich arbeitete als Kreativdirektor bei einer großen Fotoagentur in Manhattan und besuchte regelmässig ein japanisches Teehaus in Chelsea, das Wild Lily, das es heute nicht mehr gibt. Hier fand ich Erholung. Mein erster Besuch war denkwürdig. Eine Tasse Sencha-Tee kostete 12 Dollar. Ich zögerte, doch bestellte ihn – zum Glück. Ich trank einen Aufguss. Dann kam neues Wasser auf den Loseblatt-Tee, noch mal, und noch mal. Vier Aufgüsse! Anderthalb Stunden hat es gedauert. So erfuhr ich von der japanischen Teezeremonie. Ich verliess das Wild Lily erfrischt und vitalisiert. Ohne dieses Erlebnis gäbe es „Paper & Tea“ nicht. Die Ästhetik des Tees zu vermitteln, wurde vielleicht schon damals meine heimliche Berufung. Auch wenn ich den Weg zum Tee erst nach meiner ersten Karriere startete.
Gibt es eine Mission hinter „Paper & Tea“?
Ja, ich formuliere sie am liebsten in meiner eigentlichen Muttersprache: To enrich life through tea and tea culture! Kreativität, Kommunikation und Kultur sind die wesentlichen Elemente.
Was fasziniert Menschen an Tee und Teezeremonien?
In Asien glaubt man an den Geist des Tees. Es ist die Aufmerksamkeit, die wir der Zubereitung eines guten Tees widmen. Wir tun etwas für uns und zugleich für den Moment. Das erfordert zunächst Zeit und Übung. Doch dann erfährt man darüber sich selbst. Rituale spielten in Asien immer schon eine grosse Rolle. In modernen Gesellschaften lösen sich Rituale zunehmend auf. Vermeintlich fehlt es dafür an Zeit. Doch das Bedürfnis nach Ritualen ist noch da. Wir brauchen die Wiederholung, das Mentale. Das Teeritual erklärt ganz gut ein Sprichwort aus China: ‚Der erste Aufguss ist für den Geschmack. Der zweite Aufguss ist für den Genuss. Der dritte Aufguss für das Auge. Der vierte Aufguss für die Entspannung.’ Teeverkostungen sind in Asien übrigens auch ein Emblem für Geselligkeit.
Ihre Lieblingsaromen?
Der Tee, den Sie gerade trinken, hat etwas Zitroniges. Zum Oolong-Tee kommen süsse Zitrus- und Aprikosennoten der Osmanthus-Blüte. Wir trinken Geschichte. Tee kam zuerst in der Tang-Dynastie auf. Aus dieser Zeit stammt der Pu-erh-Tee. Mit der Song-Dynastie kamen buddhistische Mönche nach Japan und Korea. Sie brachten den Tee mit. Der darauf folgenden Ming-Dynastie verdanken wir den Tee in heutiger Form. Das Blending, der Mix mit anderen Aromen ist elementar. Blüten, Gewürze, Öle – mir lag von Anfang an viel an besonderen Mischungen. Kennen Sie Schwarztee mit Bergamotteöl, versetzt mit Jasmin und Wacholder? Tee kann betören und überraschen.
Sie stammen aus einer Verlegerfamilie. Papier hat sie seit jeher umgeben. Ist das der Grund für die kleine, aber feine Auswahl an Papierprodukten bei P&T?
Papier und Tee haben unsere Kultur begründet wie kaum etwas sonst. Das Papier ging einen ähnlichen Weg wie der Tee. Die Kunst des Papierschöpfens kam im 6. Jahrhundert n. Chr. über China und Korea nach Japan. Es soll ein buddhistischer Mönch gewesen sein, der 610 an den kaiserlichen Hof nach Japan kam und das Papierschöpfen überlieferte. Es gibt weitere Parallelen: Tee zubereiten und Papier schöpfen gelten in Asien bis heute als meditative Tätigkeiten. Mir gefällt allein die Kunst rund um das Papier. Dazu gehören Schreiben und Illustrieren. Zuletzt fiel mir Jörg Hülsmann mit seinen Zeichnungen für Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit auf.
Vor einiger Zeit haben die Papierfiguren des sizilianischen Künstlers Alessio Fangano uns zu einer Kooperation bewogen. Seine Papierfiguren sind inspiriert von der Malerin Ogata Korin und dem Schriftsteller Jun’ichiro Tanizaki. Und gerade haben wir die Mindfulness Tea Collection auf den Markt gebracht. Eine wirkliche Ehre: Die Teeserie entstand in Zusammenarbeit mit Thich Nhat Hanh, weltweit anerkannt als Zen-Meister, Poet und Kalligraph, und ABC Carpet & Home in New York.
Mit dieser Kooperation kehrt Jens de Gruyter gewissermassen nach Manhattan zurück. Die sehenswerte Calligraphic Medidation von Thich Nhat Han, die das Einrichtungshaus ABC Carpet & Home in diesem Video festgehalten hat, schließt buchstäblich den Bogen zum Papier. Noch mehr zur Kalligraphie von Thich Nhat Hanh gibt es hier.
Buchtipps:
Kakuzo Okakura, Das Buch vom Tee, insel Verlag 2018
Stefan Zweig, Sternstunden der Menschheit, S. Fischer 2016
Danke, ein Interview mit niveauvollen Antworten – weiter so Jens!
Lieber Hermann, das wird ihn freuen! Vielen Dank.
Deine Fotos gefallen mir übrigens sehr gut.
Judith